Mehr als 30 Jahre Freundschaft: Was wir aktuell von unseren polnischen Nachbarn lernen können
5. Oktober 2022
Seit mehr als 30 Jahren verbindet das wiedervereinigte Deutschland und Polen nicht nur eine geografische Nachbarschaft, sondern auch eine Freundschaft. Beide Länder stehen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene in regem Austausch. Auch auf wirtschaftlicher Ebene hat die deutsch-polnische Freundschaft tiefe Wurzeln geschlagen und trägt dazu bei, dass die Nachbarländer sich gegenseitig inspirieren.
Deutschland hat in der Vergangenheit immer wieder einen interessierten Blick über die gemeinsame Landesgrenze geworfen und in Polen zahlreiche Innovationen entdeckt, die die eigene Forschung und Entwicklung positiv beeinflusst haben. In den letzten Jahren lohnt sich insbesondere ein Blick auf die Gamingbranche, denn hier mischen unsere polnischen Nachbarn seit einiger Zeit kräftig mit. Der technologische Fortschritt, den die polnische Gamingbranche hingelegt hat, ist wegweisend für die Gamingindustrie in Deutschland.
Cyborg – Pixabay - Public Domain Bilder / Creative Commons CC0 (CC0 1.0)
Polen ganz vorne im weltweiten Gaming
Wer sich die treibenden Kräfte auf dem boomenden Gamingmarkt anschauen möchte, sollte Polen auf dem Zettel haben, denn durch technologischen Fortschritt und kreative Entwicklerstudios gehört das Land heute nicht nur im europäischen Vergleich, sondern sogar weltweit zu den stärksten Akteuren der Branche.
Bereits 2021 zeigten Erhebungen, dass unsere Nachbarn weltweit zum viertgrößten Exporteur von Videospielen avanciert sind. 6,5% der weltweiten Verkäufe von Games stammen aus den polnischen Ideenschmieden. In Europa rangieren sie auf Platz 1. Die deutschen Gamingfans gehören zu den treusten Abnehmern, aber auch in anderen europäischen Ländern wie Schweden und Großbritannien stehen polnische Spieleentwicklungen hoch im Kurs.
Das wohl populärste Kreativstudio ist CD Projekt Red. Doch das ist längst nicht die einzige Referenz, die unsere Nachbarn zu einem Big Player in der Gamingbranche macht. Zu den neuesten Ideen aus den polnischen Kreativschmieden gehören die Online Casinos. Das Land pflegt eine strenge Politik im Hinblick auf Glücksspielangebote im eigenen Land. Auf dem Weltmarkt haben sich polnische Entwicklerstudios wie Kalamba Games aber längst positioniert und stärken damit auch den guten Ruf der Online Casinos in Polen.
Aber nicht nur beim Export von Videospielen hat Polen sich eine starke Position erarbeitet. Auch im eigenen Land wird eine lebendige Gaming-Kultur gepflegt. So findet beispielsweise mit der Poznan Game Arena die größte Messe für Computer- und Konsolenspiele und Multimedia-Entertainment in Europa in Posen statt. Seit etwa 15 Jahren kehrt die populäre Messe Jahr für Jahr in die viertgrößte Stadt Polens zurück und lockt nicht nur ein riesiges internationales Publikum an, sondern ist auch Kulisse für die „Intel Extreme Masters“, ein globales eSports-Event der Superlative.
Für Deutschland lohnt sich der Blick zu den Nachbarn, wenn es um die Weiterentwicklung des eigenen Gamingmarktes geht. Im internationalen Vergleich ist Polen zu einem echten Wegweiser geworden.
„Cyberpunk 2077“ und „The Witcher: CD Projekt Red als Vorzeigestudio
In Polen haben sich inzwischen fast 400 Unternehmen aus der Gamingbranche angesiedelt. Zu den bekanntesten Akteuren zählen CI Games, Techland und People Can Fly. Rund 100 neue Spieletitel werden aus diesen Ideenschmieden Jahr für Jahr auf den Markt gebracht. Der wohl bedeutendste Name, den die polnische Gamingbranche zu bieten hat, ist CD Projekt Red. Das Unternehmen rangiert auf Platz 2 der erfolgreichsten Gamingfirmen in Europa.
Zwei große Flaggschiffe haben den Erfolg des Unternehmens maßgeblich mitbegründet: Die Action-Rollenspielreihe „The Witcher“ und das Open-World-Action-RPG „Cyberpunk 2077“. Die „Witcher“-Reihe kam bereits 2007 auf den Markt. Für die Computeradaption der Hexer-Romanreihe des polnischen Schriftstellers Andrzej Sapkowski wurde fünf Jahre zuvor CD Projekt Red als Entwicklerstudio gegründet und aufgebaut. 2008 erschien die „Enhanced Edition. 2011 legte CD Projekt Red mit „The Witcher 2: Assassins of Kings“ auch in der Story nach. 2015 kam der bislang letzte Teil „The Witcher 3: Wild Hunt“ auf den Markt. Die Romanumsetzung als Game ist in der Fancommunity auf große Zustimmung gestoßen und fand schließlich sogar den Weg auf den Fernsehbildschirm in Form der Netflix-Serie „The Witcher“. Der anhaltende Erfolg des Spieletitels hat auch CD Projekt Red zu einer festen Größe in der Gamingbranche gemacht.
Kaum weniger beeindruckend ist der Erfolg von „Cyberpunk 2077“. Der Titel war 2020 das wohl am sehnlichsten erwartete Game des Jahres. Während „The Witcher“ in einem mittelalterlichen Fantasy-Szenario angesiedelt ist, dürfen Gamer mit „Cyberpunk 2077“ einen Blick in die Zukunft werfen, in der die Menschen durch Cyberware eine neue Welt geschaffen haben. In der fiktiven Megalopolis Night City geht es um Macht, Reichtum und das Gesetz der Straße. Als Adaption des das Pen-&-Paper-Rollenspiels „Cyberpunk 2020“ eilte dem Videospiel sein Ruf bereits voraus und die Fangemeinde wartete ungeduldig auf die Umsetzung der Thematik für den Bildschirm. Der Spielautor Mike Pondsmith war bei der Entwicklung des Computerspiels selbst beratend tätig.
Mit „The Witcher“ und „Cyberpunk 2077“ hat CD Projekt Red sich in der Gamingbranche ein Denkmal gesetzt und die polnische Entwicklerszene im internationalen Vergleich weit nach vorne gebracht.
Polen wird zum eSports-Hotspot
ESports ist aus der Gamingbranche nicht mehr wegzudiskutieren. Obwohl das professionelle Gaming auf Wettkampfniveau in Deutschland noch immer um die Anerkennung als offizielle Sportart kämpft, ist der Boom, den die Szene erlebt, ungebrochen. Auf internationalen Wettkämpfen treffen professionelle Gamer aufeinander und tragen auf hohem Niveau Turniere mit exorbitanten Preisgeldern aus.
Auch in Polen ist das Interesse an eSports riesig. Rund 1.000 professionelle eSportler*innen sind in polnischen Teams engagiert und die polnische eSports-Szene zählt fast 3 Millionen Fans. Damit belegt das Land dem Jahresbericht des Branchenportals Newzoo zufolge den vierten Platz im internationalen Vergleich. Mit den „Intel Extreme Masters“ findet eines der bedeutendsten Events der globalen eSports-Szene in Polen statt und macht Polen zu einem echten Hotspot der Branche. Zu den bekanntesten Namen der polnischen eSports-Szene gehört Jaroslaw "Pasha" Jarzabkowski, der in den Computerspielen „Counter Strike 1.6“ und „Counter Strike: Global Offensive“ große Erfolge feierte. Er gehört zu den fünf erfolgreichsten eSportlern Polens und gilt als Botschafter des Sports in der ganzen Welt.
In Sachen eSports ist Polen Nachbarland Deutschland übrigens ebenfalls einen Schritt voraus: 2019 ist der Polnische E-Sport-Bund dem Polnischen Komitee Nicht-Olympischer Sportarten beigetreten und damit als offizielle Sportart anerkannt.
Das kann Deutschland von Polens Gamingindustrie lernen
Wirft Deutschland einen Blick auf die Gamingszene seiner polnischen Nachbarn, wird deutlich, dass hierzulande Entwicklungspotenzial besteht. Der große Erfolg Polens in der Gamingindustrie ist vor allem auf kreative Entwicklerstudios zurückzuführen. Polnische Spieleentwickler haben ein gutes Gespür dafür gezeigt, welche Thematiken und Spieladaptionen ein möglichst breites Publikum begeistern und zum Massenerfolg werden können. Hier bleiben deutsche Unternehmen mit eher kleinen Produktionen bislang hinter ihren Möglichkeiten zurück. Mit Titeln wie „Die Siedler“ oder der „Anno“-Reihe haben deutsche Entwicklerstudios wie Blue Byte, das dem erfolgreichen französischen Ubisoft-Konzern angehört, durchaus gezeigt, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Bislang fehlt es aber noch etwas am Instinkt für massentaugliche Kassenschlager. Hier könnte sich Deutschland durchaus eine Menge bei seinen polnischen Nachbarn abschauen.
